KULTUR IM GEPÄCK
Kontinentale Handelswege = europäische Kulturstraßen
WIR ERBEN
Europa in Brandenburg – Brandenburg in Europa
Das im Landkreis Dahme-Spreewald gelegene Luckau verfügt über eine hoch attraktive Altstadt, deren kulturhistorische Substanz unter der etwas abseitigen Lage gegenwärtig zu wenig Beachtung findet. Als eine im 17. und 18. Jahrhundert prosperierende Handelsstadt kann die im Schnittpunkt mehrerer Handelsstraßen gelegene einstige Hauptstadt der Niederlausitz auf eine jahrhundertealte Tradition verweisen und darauf – dass im Gefolge der Kaufleute und entlang der Handelsrouten unterschiedliche Kultureinflüsse die Stadt und die Region bereicherten. Allen voran tragen die Patrizierhäuser auf dem Marktplatz die Zeichen einer von Italien ausgehenden und im europäischen Raum weit verbreiteten Bauweise. Mit der italienischen Renaissance war bis ins 16. Jh. hinein zum ersten Mal ein Kulturmodell entstanden, das sich im damaligen europäischen Raum ausbreitete und wiederum andere kulturelle Transfers auslöste, die auf ihre Weise zur Entwicklung eines europäischen Bewusstseins beitrugen. Nicht nur an den Fürstenhöfen in Europa, sondern auch in reichen Handelsstädten waren neben Handwerkern und Kaufleuten, auch Künstler und Gelehrte aus Italien tätig, die allesamt für den Luxus zuständig waren.
Die Zugehörigkeit der Niederlausitz zum Kurfürstentum Sachsen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eröffneteden Luckauer Handelsbürgern stärkere Partizipation an den Warenströmen zwischen der damals wichtigsten deutschen Handelsstadt Leipzig und den Transporten auf der via Regia, die als Königstraße von Santiago di Compostella über Paris, Leipzig, Krakau nach Kiew und Moskau führte und für das Marktwesen und den Fernhandel zwischen Ost- und Westeuropa von eminenter Bedeutung war. Nord- und Südeuropa waren von Stettin über Berlin und Leipzig bis nach Rom durch die via Imperii verbunden. Beide Straßen, die Leipzig als eine Art Drehkreuz nutzten, hatten besondere Bedeutung für die europäische Entwicklung.
Das Projekt: Die Fokussierung auf das 17. und 18. Jahrhundert soll am Beispiel der Kleinstadt Luckau zeigen, dass in dieser Zeit wesentliche Grundlagen geschaffen wurden, die ein besseres Verstehen der kulturellen Genese des modernen Europa ermöglichen und damit beitragen zu jener Toleranz, die für ein friedliches Miteinander notwendig ist. Schließlich beruht das Leben auf dem europäischen Kontinent nicht erst seitdem auf Migration, die ein grundlegender Bestandteil bei der Konstituierung europäischer Gesellschaften immer war und ist. Verbunden mit der Vorstellung einer hintergründigen Auseinandersetzung mit dem Erbe, gilt es, in künstlerischen Aktionen diese Geschichten neu zu erzählen und für aktuelle Debatten fruchtbar zu machen. Für die zehn zur spektrale 8-2018 eingeladenen Künstler gilt die Empfehlung, die historischen Leistungen als Impulse für die Gegenwart zu erkennen und die damalige Form des Kulturtransfers und der Mechanismen für die heutige Zeit zu reflektieren und fruchtbar zu gestalten. (Zeichen gegen Stagnation, Einfluss auf die Meinungsbildung). Als kritische Beobachter der Gesellschaft sollen Künstler aus dem Landkreis Dahme-Spreewald, aus Brandenburg/Berlin und europäischen Nachbarländern sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart unter verschiedenen Perspektiven betrachten und bewerten und in ihren Kunstaktionen kulturelle, intellektuelle, politische und soziale Zusammenhänge reflektieren.
Im Rahmen der Vernissage am 27. Mai 2018 wurde Steffen Mertens der Kunstpreis der SPEKTRALE 8 durch die Schirmherrin und Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, des Landes Brandenburg, Frau Dr. Martina Münch verliehen. Eine fünfköpfige Jury, die aus Fach- und Sachjuroren zusammengesetzt war, nahm alle Kunstwerke der Ausstellung in Augenschein. Steffen Mertens war sichtlich überrascht - und vor allem erfreut.
Die gläserne Skulptur wurde auch 2018 in bewährter Qualität von der Glaskünstlerin Beate Bolender aus Kasel-Golzig gestaltet. Die Spektrale 8 mit ihren verschiedenen Projekten und Veranstaltungen findet noch bis 16. September 2018 in Luckau statt.
STEFFEN MERTENS
1943 geboren 1943 in Rathenow, lebt und arbeitet in Cottbus und Klein-Döbbern
1964-1968 Studium der Grafik an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee
1972-1973 Beginn bildhauerischer Arbeiten unter Mentor Werne Stötzer
seit 1974 Tätigkeit als freiberuflicher Bildhauer
1990-1992 Theaterplastiker am Staatstheater Cottbus
seitdem freiberufliche Tätigkeit als Bildhauer
Troika impossibile
Steffen Mertens ist bekannt für seine humorvollen bis ironischen Einfälle und Ideen, mit denen er die Kunstszene im Land Brandenburg aufmischt. Da wundert es nicht, dass er mit der unmöglichen Troika einen Lieferwagen mit auffallend großen Rädern, der im Sinne einer historisierenden Anekdote auf längst vergessenen Handelswegen daherkommt, vor der Stadtmauer in Luckau präsentiert. Sichtbar sind zudem ein zweibeiniges Zugpferd und ein Reiter. Auf der Ladefläche des Wagens der Troika impossibile eröffnen sich mit dem großen, in Schräglage geratenen Kopf, der wegzurutschen droht, ein Gleichnis mit Interpretationsspielräumen. Für den großen Wagen kein Problem, für die Visionen und Köpfe schon und erst recht für den die Wirklichkeit kritisch reflektierenden Künstler. Und dem geht es nicht zuletzt um die provokatorische Identifizierung des Ästhetischen mit dem Nicht-Ästhetischen als Ausdruck einer dadaistischen Attitüde. (sm/hs)
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